Schulen (um)bauen - Der Raum als dritter Pädagoge: Eine pädagogische Architektur verlangt Differenzierung bei der Raumgestaltung, damit auch in der Mensa das gleichzeitige Ausleben verschiedener Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen ermöglicht wird.
Kinder und Jugendliche haben je nach Persönlichkeit, Herkunft, Alter und Geschlecht sehr differente Bedürfnisse und Erwartungen: Sie möchten sich entspannen und zurückziehen, zu zweit oder in Gruppen kommunizieren. Sie wollen unterhalten werden oder sich nach einer stressigen Unterrichtsstunde ablenken lassen. Insofern verlangt eine pädagogische Architektur eine Differenzierung bei der Raumgestaltung, damit auch in der Mensa das gleichzeitige Ausleben dieser verschiedenen Bedürfnisse ermöglicht wird.
Das geflügelte Wort vom dritten Pädagogen bewahrheitet sich beim (Um-)Bau und der Innenraumgestaltung von Schulen: Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften ist es der Raum selbst, der Anregung sowie Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten bieten soll. Dass es dabei um viel mehr geht als um "Kunst am Bau" oder pädagogisches "Schöner Wohnen" betonen die Akteure, die sich ein verändertes und den neuen Schul- und Lernkonzepten angepasstes Verständnis bei der Gestaltung von Schulen wünschen.
Die Entwicklung in der Bildungslandschaft hin zu Ganztag und Inklusion stellt neben der standortabhängigen Zu- oder Abnahme von Schülerzahlen oder den energetischen Anforderungen an Schulgebäude einen wesentlichen Grund für Schulbaumaßnahmen dar. In Nordrhein-Westfalen formulierte 2011 die von der Landesregierung einberufene Bildungskonferenz ihre Empfehlungen, für alle Kinder und Jugendlichen bis 2020 den gebundenen Ganztag unter Berücksichtigung von freiwilligen und pflichtigen Angeboten in allen Schulformen und Schulstufen flächendeckend einzuführen. Diese Tendenz erfordert nicht nur neue pädagogische Konzepte, sondern auch eine daran angepasste Raumplanung. Denn eine Schule ist ein eigener Lebensraum, in dem in vielfältiger Form gelernt, gespielt, sich entspannt, aber auch gegessen und getrunken wird.
Lern- und Lebensräume in Schulen
Genauso wie Sporthalle, Schulhof, Aula, Bibliothek oder Klassenzimmer sind die Mensa oder das Bistro Lern- und Lebensräume in Schulen. Dabei darf das Raumkonzept der Mensa nicht auf eine rein zweckrational gestaltete Versorgung ausgerichtet sein, sondern muss vor allem auf die Akzeptanz der Schülerinnen und Schüler abzielen. Jedoch nehmen häufig nur zwischen 20% und 50% der Schülerschaft einer Schule die Verpflegungsangebote wahr. Vor allem Jugendliche wollen immer weniger in einer Mensa essen, wenn diese ihre kulinarischen Erwartungen und weitergehenden Bedürfnisse nicht richtig erfüllt. Für die Betreiber entsteht ein Circulus vitiosus, wenn ein in der Folge schmales Essensangebot die Teilnehmerzahlen weiter nach unten drückt und eine rentable Bewirtschaftung noch schwieriger macht. Solch eine Entwicklung führt zu vielfältigen Enttäuschungen auf allen Seiten.
Kaum kind- und jugendgerechte Angebote
Die Ursachen für mangelnde Akzeptanz liegen darin, dass die Essensangebote häufig nicht kind- und jugendgerecht sind. Noch zuwenig werden die Erkenntnisse der Ernährungspsychologie und Trends in der Esskultur beachtet. Schülergäste wünschen sich spontanes Essen ohne Vorbestellung, eine freie Wahl von Komponenten, kleine Snacks und Süßigkeiten. Dabei müssen Essensanbieter den Spagat zwischen diesen sehr differenten Essvorlieben und den pädagogischen und gesundheitlichen Anforderungen von Elternschaft und Schule schaffen. Außerdem darf das Essen nicht viel kosten. Befriedigende Essenszahlen werden unter diesen Bedingungen nur dann erreicht, wenn die Schule die Schulverpflegung zu ihrer eigenen pädagogischen Aufgabe macht.
Herkömmliche Raumgestaltung
Eine weitere Ursache für die mangelnde Akzeptanz liegt an der herkömmlichen Raumgestaltung vieler Mensen. Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass pädagogische Raumkonzepte entweder fehlen oder qualitativ nicht zufrieden stellen. Wenn die pädagogischen Vorstellungen so die Erkenntnisse der pädagogischen Architektur in entsprechende Raumkonzepte umgesetzt würden, könnte die Qualität von Ganztagsschulen gesteigert werden. Dies gilt auch für die Gestaltung von Mensa und Bistro, die jedoch bisher eher unter den Funktionsanforderungen eines definierten Durchsatzes von Essern und einer optimierten Raumökonomie geplant werden. Die Folge davon ist eine Zweckarchitektur, die von einer uniformen, hellen und eher sachlich kühlen Raumgestaltung dominiert wird. Analog dazu erfolgt die Ausstattung einheitlich mit modernen Funktionsmöbeln (Tischreihen). Insgesamt trägt dies dazu bei, die Mahlzeit auf die bloße Nahrungseinnahme des Einzelnen zu reduzieren. Sie unterstützt nicht die Realisierung der ganzen Bandbreite möglicher kommunikativer und interaktiver Bedürfnisse und Erwartungen im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Essen.
Pädagogisches Raumkonzept
Kinder und Jugendliche haben je nach Persönlichkeit, Herkunft, Alter und Geschlecht sehr differente Bedürfnisse und Erwartungen: Sie möchten sich entspannen und zurückziehen, zu zweit oder in Gruppen kommunizieren. Sie wollen unterhalten werden oder sich nach einer stressigen Unterrichtsstunde ablenken lassen. Insofern verlangt eine pädagogische Architektur eine Differenzierung bei der Raumgestaltung , damit auch in der Mensa das gleichzeitige Ausleben dieser verschiedenen Bedürfnisse ermöglicht wird. Wenn eine Schule im Ganztag das Sozialverhalten und das Gemeinschaftsbewusstsein der Schüler/innen fördern will, sollte die Mensa als ein kommunikatives Zentrum der Schule gestaltet werden. Neben dem Essen und Trinken wollen Schülerinnen und Schüler Zeitung lesen, mit der besten Freundin oder dem besten Freund tuscheln, sich in ihrer Clique treffen, eine Mathematikaufgabe erklärt bekommen oder nur bei Musik abhängen und sich entspannen.
Die Einlösung dieser unterschiedlichen Bedürfnisse gelingt nur durch die Raumaufteilung in verschiedene Zonen und eine unterschiedliche Art der Einrichtung: Orte des Rückzugs können durch eine Sofaecke, Orte des intensiveren Austauschs durch Bistrotische oder Orte für ein unverbindliches Zusammentreffen durch eine Theke mit Hockern geschaffen werden. Durch flexible Wände und eine entsprechende Bestuhlung, die sich von derjenigen der Lernräume unterscheidet, werden verschiedene Bereiche geschaffen. Es entstehen so offene Zonen der Begegnung und geschützte Räume mit einer gemütlichen Atmosphäre, wo sich Gruppen unterschiedlicher Größe und Art zusammenfinden. Im eigentlichen Essbereich sollte alles vermieden werden, was Assoziationen an einen Essenssaal weckt. Es gilt, die richtige Balance zwischen den Bedürfnissen nach Kommunikation und Offenheit, Rückzug und Entspannung zu finden. Wichtig ist, dass die architektonische Gestaltung die Kinder und Jugendlichen durch Formen, Farben, Ausblicke, Materialien; Raumerlebnisse und Akustik anregt und so einen Beitrag auch zur ästhetischen Bildung leistet. Ob es gelingt, solch einen Ort der Gastlichkeit zu schaffen, lässt sich intuitiv erfassen, wenn man Schüler/innen in ihrem alltäglichen Verhalten im Verhältnis zu dem sie umgebenen Raum beobachtet.
Unabdingbar: Partizipation!
Ein entscheidendes Merkmal für pädagogische Architektur ist, dass die Planung von Neu- und Umbauten partizipativ erfolgt. Dies verlangt, dass sich die Auftraggeber auf der Schulträgerseite, die planenden Architekten und die Nutzer aus Schule und Stadtteil auf Augenhöhe begegnen und gemeinsam ihre Interessen und Bedürfnisse einbringen. Für die Entwicklung innovativer schulischer Raumkonzepte sollten Architekten die Schulgemeinde vor Ort einladen, in einem kreativen Prozess Ideen und Visionen zu entwickeln. Dazu benötigen sie Einfühlungsvermögen für den kulturellen und sozialen Kontext der Schule, sowie für den produktiven Austausch mit den Beteiligten bei der planerischen Umsetzung. Für die Schüler/-innen als zukünftige Gäste der Mensa bietet dieses Vorgehen die Chance einer ganz anderen Identifikation, die sich mit Sicherheit auf die Nutzerzahlen positiv auswirken wird.